Parallelwelt

Zu den Erstaunlichkeiten der DDR gehörte der Umstand, dass es neben dem „einheitlichen sozialistischen Bildungssystem“ ein höchst vielfältiges konfessionell bzw. kirchlich gebundenes Bildungswesen gab. In der SBZ waren 1945 insgesamt 43 Kirchen und Religionsgemeinschaften zu­gelassen worden (die acht evangelischen Landeskirchen hierbei als eine Kirche gezählt). Zwei davon – die Zeugen Jehovas und der Gemeinschaftsverband der deutschen Pfingstbewegung – wurden in den 50er Jahren verboten, blieben gleichwohl aktiv. Acht Religionsgemeinschaften stellten ihre Tätigkeit später ein. Die Größe der 33 verbliebenen anerkannten Kirchen und Re­ligionsgemeinschaften bewegte sich von zweistelligen Mitgliederzahlen bis zu mehreren Millionen. Weitgehend mit der Größe, zum Teil aber auch mit dem Aktivitätsspek­trum so­wie den Besonderheiten der lehrmäßigen Ausformung der Bekennt­nisse, korrespondierten die jeweiligen Ausbildungsbedarfe und Bildungsaktivitäten.

Soweit ermittelbar, umfasste das konfessionell geprägte Bildungs­wesen in der SBZ bzw. DDR über die Jahrzehnte hin 1.432+x Einrichtungen, Arbeitszusammenhänge und Medien. Von diesen bestanden nicht alle über die gesamten Jahrzehnte von 1945 bis 1989. Teils waren sie erst im Laufe der DDR-Existenz gegründet, z.T. während der DDR-Jahre geschlossen oder fusioniert worden. Betrachtet man die Bildungseinrichtungen im engeren Sinne, so ergeben die Recherchen: Im DDR-Gründungsjahr 1949 hatte es 141 konfessionelle Einrichtungen, Bildungsformen und Arbeitskreise gegeben, und im Jahre 1989 waren es 205 (über die gesamten Jahrzehnte hin gab es 378). Dieses Kernsegment des konfessionell gebundenen Bildungswesens hatte also ein Wachstum um 45 Prozent erfahren.

Nimmt man auch die weiteren Bildungseinrichtungen und -formen in den Blick, so treten 671 hinzu, die 1949 bestanden hatten, bzw. 728, die für das Jahr 1989 zu ermitteln sind. Wesentlich verantwortlich für diese hohen Zahlen sind die Kindergärten und -heime, die vordiakonischen Kurse, Studentengemeinden, Bildungshäuser und Rüstzeitheime sowie die Buchhandlungen und Pressetitel. Rechnerisch betrug das Wachstum dieses erweiterten Segments in den 40 DDR-Jahren acht Prozent.

Im Handbuch lassen sich Profildarstellungen zu den Bildungseinrichtungen bzw. -akteuren finden, die im Idealfall je­weils folgende In­­for­mationen enthalten:

– Konfessionelle Zugehörigkeit
– Trägerschaft
– Zentrale Daten
– Zum inhaltlichen Profil
– Zugangsvoraussetzungen
– Statistisches und Organisatorisches
– Kooperationen und Netzwerkeinbindungen

Nicht immer ließ sich jede einzelne dieser Rubriken in wünschenswerter Weise oder überhaupt auffüllen. Da die Informationslage zu den einzelnen Einrichtungen sehr heterogen ist, sind hier Kompromisse nötig. Die wichtigsten Quellen sind

(1) die gedruckt verfügbare Literatur zu den Institutionen selbst,
(2) thematisch übergreifende Literatur zu Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR sowie
(3) online verfügbare Informationsbestände.

Diese wurden jeweils auf Informationen, die für die Profildarstellungen relevant sind, hin ausgewertet. Daneben wurden

(4) konkrete Anfragen an einzelne (Nachfolge-)Institu­ti­o­nen, Zeitzeugen und Ex­perten gerichtet bzw. Gespräche geführt, um eine ansonsten ge­gebene kom­plette Unverfügbarkeit von In­formationen auszugleichen oder Widersprüche zwischen den Quel­­len (1) bis (3) aufzuklären;
(5) für Einrichtungen, zu denen die bisher genannten Quellen kei­ner­lei oder nur sehr wenige Infor­­mati­onen bereithielten, wurden Fokusrecherchen in den Beständen des Bistumsarchiv Erfurt (BAEF), das auch die archivalische Überlieferung der BOK/BBK verwahrt, des Evan­gelischen Zen­­tral­archivs Berlin (EZA), des Evangelischen Landeskirchlichen Ar­chivs Ber­lin (ELAB), des Archivs der Evangelischen Landeskirche Anhalts in Dessau (AELKA), des Landeskirchlichen Archivs Dresden, des Lan­des­kirchlichen Archivs Schwerin, des Archivs des Berliner Missionswerks (BMW), des Historischen Ar­chivs der Siebenten‐Tags‐Adventisten in Europa (AAE), Sammlung Friedensau/DDR, des Ar­chivs für Dia­ko­nie und Entwicklung Berlin (ADE) sowie des Bundesarchivs, Standort Berlin-Lichter­felde unternommen.

Über das Projekt

Das Projekt wird seit 2016 am Institut für Hochschulforschung Halle-Wittenberg realisiert und von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Es wird von Uwe Grelak M.A. und Prof. Peer Pasternack bearbeitet. Das Projekt ist eingebettet in weitere Aktivitäten des Instituts zur Dokumentation und Erforschung des DDR-Bildungs- und Wissenschaftssystems. Das „Parallelwelt“-Thema steht konkret in der Kontinuität des Sammelbandes „Hochschule & Kirche. Theologie & Politik. Besichtigung eines Beziehungsgeflechts in der DDR“ und eines früheren Projekts zur Offenen Arbeit in den evangelischen Kirchen in der DDR. Mit dem Buch „Parallelwelt“ konnte nun eine Lücke in der Dokumentation des DDR-Bildungswesens geschlossen werden.